von Markus Brogle
Dieser Artikel wird keine Antworten liefern. Ich stehe noch ratlos da.
Wie sollen wir mit der Situation umgehen? Der Reihe nach.
Von einem Journalisten kann man erwarten, dass er seine Artikel ordentlich recherchiert. Das gibt es bei mir nicht. Meine Äußerungen auf derbewahrer.com basieren alle auf empirischer Recherche. Andere sagen auch Lebenserfahrung oder noch schlimmer auf dem gesunden Menschenverstand.
Wer mich kennt weiß, dass ich komische Hobbies habe. Eines davon habe ich zum Beruf gemacht. Nebenbei bemerkt – keine gute Idee. Wer sein Hobby zum Beruf macht, hat kein Hobby mehr.
Fast alle dieser Hobbies benötigen umfangreiche Investitionen in platz- und geldraubende Staubfänger.
Beginnen wir mit den Klemmbausteinen. Da gibt es einen dänischen Hersteller, der in diesem Bereich als Weltmarktführer gilt. Dieser bringt alle 2 Jahre einen ikonischen Supersportwagen als 1:8 Modell heraus. Immer so um die 3.500 Teile, nett gemacht und durchaus eine Herausforderung zum Bauen. Die ersten drei (Porsche, Bugatti und Lamborghini) haben mich persönlich nicht „abgeholt“ und waren/sind mir mit Preisen um die 300 Euro auch schlicht zu teuer. Aber der Vierte nun, ein Ferrari Daytona SP3, hat mich schwach werden lassen. Nach diversen Preiserhöhungen liegt dieser Haufen Plastikteile offiziell bei 450 Euro.
Das geht nicht.
Witz am Rande: für den Preis könnte man erwarten, dass man nicht noch 15 Stunden lang das Modell selbst aufbauen muss.
Ich habe Familie und wir schwimmen nicht im Geld. Das ist was für den gehobenen Mittelstand. Ich werde mir dieses Modell von Lego auch künftig niemals „leisten“ können. Natürlich habe ich irgendwo auch noch 450 Euro. Aber sich etwas leisten zu können heißt ja nicht, dass man die Kohle gerade so noch hat. So gesehen hatte ich kein schlechtes Gewissen gegenüber Lego, mir ein Plagiat aus China für 81 Euro inklusive Versand bei aliexpress zu bestellen. Lego geht damit keinerlei Umsatz verloren, da, wie erwähnt, das Original von mir niemals gekauft worden wäre. Im Übrigen haben die an mir schon „genug“ Geld gemacht.
Ich werbe hier aber trotzdem ausdrücklich nicht für dieses Vorgehen. Wer die Kohle hat, soll sich bitte das Original kaufen. Es geht hier ja nicht nur um Materialkosten sondern um das geistige Eigentum.
Und hier sind wir am Punkt.
Bis vor ein paar Jahren galt, China kann nur kopieren, aber niemals etwas Eigenes auf die Beine stellen. Das ist mittlerweile, wie wir in ein paar Beispielen gleich noch sehen werden, nicht mehr zu halten.
Bleiben wir noch kurz bei den Klemmbausteinen. Und, bitte, tut dies nicht mehr als Kinderspielzeug ab. Das ist vorbei. Das weiß ich aus vielen Gesprächen mit gestandenen Männern meines Alters. Natürlich sind es nutzlose Staubfänger – aber der Spaß und die vollkommene Loslösung vom Alltag beim Bauen sind mit nichts aufzuwiegen.
Seit einigen Jahren ist diese Branche im Aufbruch. Wir leben bereits in der postdigitalen Welt. Wer noch am Handy daddelt ist bereits old-school (wird mal ein eigener Bericht).
In China gibt es mittlerweile mehrere Anbieter von Klemmbausteinen, die sich vom reinen Kopieren verabschiedet haben und eigene Kreationen herausbringen. Die bei uns bekannteste Firma ist Cada. Diese hat schon 2 Jahre vor dem Lego-Ferrari einen anderen, wie sie ihn mangels Ferrari-Lizenz nennen, Italian Supercar präsentiert. Dieser ist technisch Lichtjahre vor den Modellen von Lego. Das Design stammt von einem Kreativen, mit dem Cada ganz offiziell zusammenarbeitet. Im Bild links (soll ein 488 Pista sein) – rechts ist der Daytona.

Nix Plagiat, nix billige Kopie. Kann man ganz normal in deutschen Einzelhandelsgeschäften kaufen. Anständiges Geschäftsgebaren, so wie es sich gehört. Und das ist erst der Anfang.
Ja aber die Qualität…
Das ist durchaus ein Punkt, über den es sich zu diskutieren lohnt. Wenn ich 1/6 des Preises bezahle, bin ich bereit, da auch ein paar Abstriche zu machen. Wenn es sie denn gäbe. Das Plagiat kam ohne aufwändige Verpackung. Brauche ich nicht, hätte ich aber für ein paar Euro extra auch haben können. Das steigert oder schmälert meine User-Experience (UX) nicht im Geringsten. Die Teilequalität gibt für mich an keiner Stelle Grund zur Klage. Der ein oder andere Connector hat vielleicht nicht die gewohnte Klemmkraft, aber alles hält am Ende gut zusammen. Und – nein – es hat nicht ein Teil gefehlt. Also auch die Lagerlogistik funktioniert einwandfrei.
Thema Eisenbahn
Ich bin persönlich recht nah am Geschehen der Eisenbahnbranche dran. Ich habe da familienintern einen Informanten, der es genauso wie ich genießt, gemeinsam wirklich tief in die Materie einzudringen. Neulich stolperten wir gemeinsam über dieses Video. Der Link ist nur als Beweisstück gesetzt. Für Laien ist das Video vielleicht nicht sooo spannend. Der Tenor ist aber im Grunde der gleiche wie oben. Im ersten Ansatz belächeln die schweizer Ingenieure noch die Chinesen. Dieses Lachen bleibt ihnen aber schon während des Videos, das schon sechs Jahre alt ist, im Halse stecken.
Auch diese Branche ist in China nicht mehr die verlängerte Werkbank Europas, sondern hat den Stab des Handelns selbst in die Hand genommen und zieht die europäischen – einstigen – Ideenschmieden am Nasenring durch die Manege.
Und nun zu meiner Branche
die Unterhaltungselektronik im gehobenen Sektor – auch High-End genannt. Wir leben davon, dass sich jemand für viel Geld eine HiFi-Anlage kauft, um damit Musik nicht nur zu hören, sondern diesen Genuss wirklich zu zelebrieren. Ob die Motivation dabei die Musik selbst oder das Ergötzen an der technischen Perfektion ist, spielt eine Nebenrolle. Ich weiß von einigen Kunden mit Anlagen im sechsstelligen Preisbereich, die alle Pressungen des Albums Brothers-in-Arms von den Dire-Straits besitzen, sich aber für Musik null interessieren. Egal. Gibt auch genug Leute mit sündteuren Fotoausrüstungen, die keine Ahnung von Bildkomposition haben.
Und da schwirrt mir neulich ein ebay-Angebot auf den Bildschirm mit einer Platine für 12 Euro. Ein Röhrenvorverstärker. Für 12 Euro. OK – nur die Platine. Aber ein fertig funktionsbereiter Röhrenvorverstärker. Inklusive der Röhren. Also gut, die 12 Euro habe ich gerade noch. Das wollen wir doch mal sehen. Oder besser hören. Zur Info für Branchenfremde: Ein gut gemachter Röhrenvorverstärker in einem ansprechenden Gehäuse und allen Margen liegt bei ca. 3.000 Euro.
Tja – woher kommt das Ding? Natürlich aus China. Und woher kommt die Schaltung? In erster Annäherung ist es die Kopie einer Schaltung aus good old Europe aus den 00er-Jahren. Aber um ehrlich zu sein, eine Röhrenschaltung ist keine Raketenwissenschaft. Mit ein wenig Recherche bekommt man das auch selbst hin.
Und das schlimme daran: das Ding ist gut. Sehr gut sogar. Nicht perfekt, aber wirklich gut. An ein, zwei Stellen werde ich noch mit hochwertigeren Bauteilen experimentieren, aber Stand heute wird das Ding den Weg in meine Anlage finden. Wer mich kennt weiß, dass das ein Wort ist.
Gutes aus dem Wok
Und dann gibt es dieses wunderbare chinesische Restaurant hier bei uns Im Rieselfeld. Das sind wirklich nette Leute. Das Essen ist gut. Kein High-End, aber einfach gut. Und dort ist es mir als Familienvater hin und wieder auch mal möglich, die ganze Familie pompös zum Essen einzuladen. So mit Vorspeise, Hauptgang, Nachspeise und so. In der deutschen Bäckerei nebenan (nix kleiner Handwerksbetrieb, sondern große blaue Kette…) ist der Sonntagskaffe mit einem Stück Kuchen pro Nase gleich teuer.
Was machen wir mit diesem China nun? Oder mit den Chinesen? Ignorieren und Belächeln funktioniert nicht mehr. Vielleicht ist auch die Frage falsch gestellt. Was macht China nun mit uns?
Lange hat man meiner Generation beigebracht, dass wir eine möglichst hohe Bildung brauchen, um den Chinesen immer wenigstens noch einen Schritt voraus zu sein. Das funktioniert an zwei Stellen nicht mehr.
1. Mit diesem Ansatz haben wir uns um arbeitsfähige Mitarbeiter im produzierenden Sektor gebracht. Ingenieure und andere Akademiker, vor denen wir nahezu ersticken, stehen nicht in der Produktionshalle. Dazu sind sie überqualifiziert und verlangen nach ihrem langen Studium zu Recht ein anderes Gehalt. Den Wasserkopf an Hochqualifizierten zu beschäftigen funktioniert so lange, wie es an anderem Ort daran mangelt und man dort froh über Produktionsaufträge ohne eigene Entwicklung ist. Das hört aber jetzt auf.
2. Und zwar deshalb, weil es in China über kurz oder lang ein gesundes Verhältnis im Bildungsgefüge geben wird. Und sie damit Ihre eigenen Ingenieure stellen. Und China hat die Machtstruktur, dieses Bildungsgefüge so in den Griff zu bekommen, dass es autark werden und bleiben kann. Für den europäischen Betrachter ein in seiner brutalen Effizienz leider unangenehm anzusehender Prozess.
Ja, dann kauf halt nichts mehr dort.
Guter Ansatz. Ich fühle mich auch wirklich schlecht. Aber wie soll das gehen? Machen wir uns nichts vor: wir haben täglich mehr Dinge aus chinesischer als aus europäischer oder gar deutscher Produktion in Benutzung. Und ganz im Ernst, zuerst muss ich meine Familie aus betriebswirtschaftlicher Sicht durchbringen. Volkswirtschaft ist was für Leute, die 1. Zeit dafür haben und 2. auch über die Macht verfügen, an den geeigneten Schalthebeln zu wirken.
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