von Markus Brogle
Unser hochwürdiger Pater hielt gestern eine über das Maß hinausreichend wertvolle und anschauliche Predigt. Um den Zusammenhang, den er aufgezeigt hat zu verstehen lohnt es sich, eine alttestamentliche Geschichte noch einmal genau anzuschauen.
Buch Genesis, Kapitel 25:
Rebekka aber bekam keine Kinder. Deshalb betete Isaak zum Herrn, und der Herr erhörte seine Bitte. Daraufhin empfing Rebekka Zwillinge. Als die Kinder im Mutterleib heftig gegeneinander stießen, sagte sie: »Wenn es so steht, warum bin ich dann schwanger geworden?«
Sie ging, um den Herrn zu befragen, und der Herr gab ihr die Antwort:
»Zwei Völker trägst du jetzt in deinem Leib,
in deinem Schoß beginnen sie zu streiten.
Das eine wird das andere unterwerfen:
der Erstgeborene wird dem Zweiten dienen.«
[…] Der erste, der herauskam, war am ganzen Körper mit rötlichen Haaren bedeckt; sie nannten ihn Esau. Danach kam sein Bruder heraus, der hielt Esau an der Ferse fest; darum nannten sie ihn Jakob. […] Ihr Vater [Isaak], der gerne Wild aß, hatte eine Vorliebe für Esau; Jakob aber war der Liebling der Mutter [Rebekka]. Als Esau einmal erschöpft nach Hause kam, hatte Jakob gerade Linsen gekocht. »Gib mir schnell etwas von dem roten Zeug da, dem roten«, rief Esau, »ich bin ganz erschöpft!« […] Jakob sagte: »Nur wenn du mir vorher dein Erstgeburtsrecht abtrittst!« »Ich sterbe vor Hunger«, erwiderte Esau, »was nützt mir da mein Erstgeburtsrecht!« »Das musst du mir zuvor schwören!«, sagte Jakob. Esau schwor es ihm und verkaufte so sein Erstgeburtsrecht an seinen Bruder. Dann gab ihm Jakob eine Schüssel gekochte Linsen und ein Stück Brot. Als Esau gegessen und getrunken hatte, stand er auf und ging weg. Sein Erstgeburtsrecht war ihm ganz gleichgültig. […] Isaak war alt geworden und konnte nicht mehr sehen. Da rief er eines Tages seinen älteren Sohn Esau zu sich und sagte: »Mein Sohn!« »Ja, Vater?«, erwiderte Esau. Isaak sagte: »Ich bin alt und weiß nicht, wie lange ich noch lebe. Deshalb nimm Pfeil und Bogen, jage ein Stück Wild und bereite mir ein leckeres Gericht, wie ich es gern habe. Ich will mich stärken, damit ich dich segnen kann, bevor ich sterbe.«
Rebekka hatte das Gespräch mit angehört. Als Esau gegangen war, um für seinen Vater das Stück Wild zu jagen, sagte sie zu Jakob: »Ich habe gehört, wie dein Vater zu deinem Bruder Esau sagte: ›Jage mir ein Stück Wild und bereite mir ein leckeres Gericht! Ich will mich stärken und dich segnen, bevor ich sterbe.‹ Darum hör auf mich, mein Sohn, und tu, was ich dir sage: Hol mir von der Herde zwei schöne Ziegenböckchen! Ich werde daraus ein leckeres Gericht bereiten, wie es dein Vater gern hat. Das bringst du ihm dann, damit er dich vor seinem Tod segnet.« »Aber Esaus Haut ist behaart und meine ist glatt«, erwiderte Jakob. »Wenn mich nun mein Vater betastet, merkt er den Betrug, und statt mich zu segnen, verflucht er mich.« Doch seine Mutter beruhigte ihn: »Der Fluch soll auf mich fallen, mein Sohn! Tu, was ich dir gesagt habe, und bring mir die Böckchen!« Jakob holte sie, und seine Mutter bereitete ein Gericht zu, wie sein Vater es gern hatte. Darauf holte Rebekka das Festgewand Esaus, ihres Älteren, das sie bei sich aufbewahrte, und zog es ihrem jüngeren Sohn Jakob an. Die Felle der Böckchen legte sie ihm um die Handgelenke und um den glatten Hals. Dann gab sie ihm das leckere Fleischgericht und dazu Brot, das sie frisch gebacken hatte. Jakob ging zu Isaak ins Zelt und sagte: »Mein Vater!« »Ja«, sagte Isaak; »welcher von meinen Söhnen bist du?« »Esau, dein Erstgeborener«, antwortete Jakob. »Ich habe deinen Wunsch erfüllt. Setz dich auf und iss von meinem Wild, damit du mich segnen kannst.« »Wie hast du so schnell etwas gefunden, mein Sohn?«, fragte Isaak. Jakob erwiderte: »Der Herr, dein Gott, hat es mir über den Weg laufen lassen.« »Tritt näher«, sagte Isaak, »ich will fühlen, ob du wirklich mein Sohn Esau bist.« Jakob trat zu seinem Vater. Der betastete ihn und sagte: »Die Stimme ist Jakobs Stimme, aber die Hände sind Esaus Hände.« Er erkannte Jakob nicht, weil seine Hände behaart waren wie die seines Bruders. Darum wollte er ihn segnen. Aber noch einmal fragte Isaak: »Bist du wirklich mein Sohn Esau?« Jakob antwortete: »Ja, der bin ich.« »Dann bring mir das Gericht!«, sagte Isaak. »Ich will von dem Wild meines Sohnes essen und ihn dann segnen.« Jakob gab ihm das Gericht und sein Vater aß, dann reichte er ihm Wein und er trank. Darauf sagte Isaak: »Komm her, mein Sohn, und küsse mich!« Jakob trat heran und küsste ihn. Isaak roch den Duft seiner Kleider, da sprach er das Segenswort:
»Mein Sohn, du duftest kräftig wie die Flur,
wenn sie der Herr mit seinem Regen tränkt.
Gott gebe dir den Tau vom Himmel
und mache deine Felder fruchtbar,
damit sie Korn und Wein in Fülle tragen!
Nationen sollen sich vor dir verneigen,
und Völker sollen deine Diener werden.
Du wirst der Herrscher deiner Brüder sein,
sie müssen sich in Ehrfurcht vor dir beugen.
Wer dich verflucht, den soll das Unglück treffen;
doch wer dir wohl will, soll gesegnet sein!«
So segnete Isaak seinen Sohn Jakob. Kaum aber war er damit fertig und kaum war Jakob aus dem Zelt gegangen, da kam auch schon sein Bruder Esau von der Jagd zurück. Auch er bereitete ein leckeres Gericht, brachte es seinem Vater und sagte: »Mein Vater, setz dich auf und iss von meinem Wild, damit du mich segnen kannst!« »Wer bist denn du?«, fragte Isaak. »Dein Sohn Esau, dein Erstgeborener«, war die Antwort. Da begann Isaak vor Schreck heftig zu zittern. »Wer?«, rief er. »Wer war dann der, der soeben von mir ging? Er hat ein Stück Wild gejagt und es mir gebracht, und ich habe davon gegessen, bevor du kamst. Ich habe ihn gesegnet und kann es nicht mehr ändern – er wird gesegnet bleiben!« Esau schrie laut auf, als er das hörte, voll Schmerz und Bitterkeit. »Vater«, rief er, »segne mich auch!« Aber Isaak erwiderte: »Dein Bruder ist gekommen und hat dich mit List um deinen Segen gebracht.« »Zu Recht trägt er den Namen Jakob«, sagte Esau. »Schon zum zweiten Mal hat er mich betrogen: Erst nahm er mir das Erstgeburtsrecht und jetzt auch noch den Segen. Hast du denn keinen Segen mehr für mich übrig?« Isaak antwortete: »Ich habe ihn zum Herrscher über dich gemacht; alle seine Brüder müssen ihm dienen. Mit Korn und Wein habe ich ihn reichlich versehen. Was bleibt mir da noch für dich, mein Sohn?« Esau sagte: »Hast du nur den einen Segen, Vater? Segne mich auch!« Und er begann laut zu weinen. Da sagte Isaak:
»Weit weg von guten Feldern wirst du wohnen,
kein Tau vom Himmel wird dein Land befeuchten,
ernähren musst du dich mit deinem Schwert!
Du wirst der Sklave deines Bruders sein;
doch eines Tages stehst du auf und wehrst dich
und wirfst sein Joch von deinen Schultern ab!«
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Eine dramatische Geschichte, die wir alle kennen, aber zur Auffrischung der einzelnen Punkte gerne nochmal gelesen haben.
Dabei müssen ein paar Dinge vielleicht zunächst geklärt werden: der Segen, wie er im Alten Testament weitergegeben wird, ist mehr als nur ein Segensgebet und hat sicher einen guten Teil auch mit der Erbschaft zu tun. Auch wichtig, Rebekka kommt dem flüchtigen Betrachter in einer ersten Betrachtung wahrscheinlich als zu listig vor. Man lese, um sie näher kennen zu lernen, das Kapitel 24 im ersten Buch Mose – dann wird der Blick ein anderer. Gleichzeitig scrolle man nochmal ganz nach oben, wo Gott mit Rebekka spricht und Ihr offenbart, dass der Erstgeborene dereinst dem Zweiten dienen wird. Die Geschichte liegt also ganz offensichtlich in Gottes Hand.
Aber nun zum Bezug für Heute.
Die Aufgabe der Kirche ist einzig den Menschen zu heiligen und in den Himmel zu führen. Um dieses Ziel zu erreichen, bedient sie sich der ihr zur Erfüllung dieser Aufgabe und von Jesus eingesetzten Sakramente und dem Gebet.
Alle anderen Beschäftigungen sind der Kirche fremd.
Der Kirche ist der Beistand Gottes für diese Aufgabe zugesagt, und zwar bis ans Ende der Zeiten. Wir kennen (und finden alle selbst) die entsprechenden Bibelstellen – ich verzichte hier auf die bei Protestanten so gern geführte Bibelversschlacht.
Soweit das Idealbild.
Der Segen des Isaak und das Erstgeburtsrecht des Esau sind hierfür ein wunderbares Bild. Esau als die Kirche (mit seinem Erstgeburtsrecht) und Isaak als Gott (der Spender dieses Erstgeburtsrechtes). Wegen irdischer Dinge, die Esau im zeitlich engen Moment wichtiger erscheinen (dem Linsengericht) gibt er das Erstgeburtsrecht auf, ja verachtet es.
Rebekkas Vorgehen ist nichts anderes, als einerseits das Fügen in Gottes Willen (siehe Ihr Zwiegespräch mit Gott ganz oben) und andererseits das Ausführen Esaus Schwurs, der ja zuvor sein Erstgeburtsrecht abgetreten hatte. Sie dient nur als Werkzeug und kann nicht, wie es die Formulierungen nahe legen, als Täterin oder gar Betrügerin angesehen werden.
Was aber ist die heutige Kirche anderes als Esau?
Sie nimmt Ihre Sendung und Ihren Auftrag nicht mehr ernst und gibt sich fast ausschließlich nur noch weltlichen Dingen hin – ja lässt sich von weltlicher Seite diktieren, wie sie zu handeln habe. Man gibt die himmlischen Dinge für weltlich (vermeintlich) Drängenderes auf.
Wann wurde Ihnen in der Predigt zuletzt von Gott erzählt, vom Reich Gottes, welche Wege zu beschreiten, welche Gesetze zu beachten sind, um dereinst sicher in den Himmel kommen und Gott schauen zu können?
Vielleicht auch abhängig vom Jahrgang des Lesers noch gar nie.
Der synodale Weg nun stellt jede gelebte Tradition endgültig auf den Kopf, wertet das von Gott geschaffene Naturrecht mit Mann, Frau und Kind offen ab oder wendet sich der staatlich bereits verankerten Negierung dessen zu.
Alle Beschäftigung der Kirche beschränkt sich seit geraumer Zeit und nun durch die absehbare Schaffung von festen Strukturen nur noch darauf, sich den Menschen in der Art zuzuwenden, dass dessen unbestreitbaren Unzulänglichkeiten verständnisvoll gut geheißen werden. So kann der Segen des Himmels der Kirche kaum mehr zukommen. Er scheint geradezu unerwünscht.
Der Auftrag von Jesus an die Kirche war und ist aber ein Anderer: sie soll den Menschen aus diesen Unzulänglichkeiten herausholen und ihm den Weg zum Himmel aufzuzeigen.
So schließt unser hochwürdiger Pater mit der Bitte an die Gläubigen, sie mögen in dieser bedrängten Zeit Zuflucht bei der allerseligsten Gottesmutter suchen.
Oder um es mit Reinhold Schneider auszudrücken:
Allein den Betern kann es noch gelingen
Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten
Und diese Welt den richtenden Gewalten
Durch ein geheiligt Leben abzuringen.
Denn Täter werden nie den Himmel zwingen:
Was sie vereinen, wird sich wieder spalten,
Was sie erneuern, über Nacht veralten,
Und was sie stiften, Not und Unheil bringen.
Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt,
Und Menschenhochmut auf dem Markte feiert,
Indes im Dom die Beter sich verhüllen,
Bis Gott aus unsern Opfern Segen wirkt
Und in den Tiefen, die kein Aug‘ entschleiert,
Die trockenen Brunnen sich mit Leben füllen.
Foto von Nisha Ramesh auf Unsplash
Eine Antwort zu “Der synodale Weg und das Linsengericht”
Als Napoleon drohte, die Kirche zu zerstören, antwortete Kardinal Consalvi: „Ist Ihnen klar, Majestät, dass nicht einmal wir Priester das in achtzehn Jahrhunderten fertiggebracht haben?